Nachdem diese bereits am Tag zuvor aufgetreten waren (und zwar mit der deutschen Frauenrockband „Britta“ als Support), begab ich mich selbst - nebst Begleitung - erst am zweiten Tag von Blumfelds Gastspiel in der Hauptstadt ins WuK.
Nachdem sich gegen 20 Uhr 30 endlich die Pforten zum Großen Saal
öffneten, ging es knappe 10 Minuten später bereits los: Den Anfang
machte Heinz Strunk (anderen vielleicht besser bekannt unter seinem
Pseudonym Jürgen Dose), der in den nächsten (und für meinen
Geschmack viel zu kurzen) 20 Minuten vier seiner bekanntesten Songs zum
besten gab. Unterstützt wurde er dabei überraschenderweise von
Blumfelds Michael Mühlhaus, der Heinz bzw. Jürgen bei „Computer-
freaks“ (zusätzlicher Gesang und Percussion) und „Zeit“
(am Keyboard) musikalisch unterstützte. Hatte Herr Strunk mit seinem
- aus der von Stermann und Grissemann gestalteten Sendung „Kulturkiste“
bekannten - Lied „Teilebahn“ den musikalischen Reigen eröffnet,
so endete dieser schließlich mit dem bis dato größten
„Hit“ „Todesfalle Haushalt“. Mochte zwar bei den beiden letztgenannten
Songs die Musik vom Band kommen, so bewies der Künstler dennoch seine
musikalischen Fähigkeiten, wußte er doch bei ersterem die Querflöte,
bei letzterem das Saxophon gekonnt einzusetzen. Auch daß Heinz Strunk
- zugegebenermaßen in einer etwas seltsam anmutenden Art und Weise
- zu tanzen vermag, blieb dem Publikum nicht verborgen. Einzig und allein
die Tatsache, daß Heinz Strunk, trotz gleichzeitiger Veröffentlichung
seiner neuen Platte (namens „Einz“), gerade einmal zwei (!) Songs daraus
zum besten gab, mochte verwundern. Doch vielleicht ist ja gerade diese
Art von „Selbstverweigerung“ Teil bzw. Abbild seines verschroben - skurrilen
Humors, welchen Heinz Strunk an diesem Abend dem begeisterten Publikum
zu bieten hatte.
Etwa eine Viertelstunde, nachdem Heinz Strunk die Bühne verlassen
hatte, betraten gegen 21 Uhr 20 diese auch schon Blumfeld. Nach
dem Weggang von Peter Thiessen (der sich in Zukunft ausschließlich
auf seine eigentli-che Band „Kante“ konzentrieren möchte) wieder nur
zu dritt, wurden die verbliebenen Mitglieder Jochen Distelmeyer (voc,
guit), Andre Rattay (d) und Michael Mühlhaus (b) live von einem
zusätzlichen Gitarristen (der „hauptberuflich“ eher als Gitarrenroadie
fungierte und ansonsten bei „Der Sturm“ und für die Rückkopplungen
von „Verstärker“ gebraucht wurde) und dem Keyboarder Vredeber
Albrecht - von der befreundeten Hamburger Band „Commercial Breakup“ (welche
auch in unseren Breiten durch ihre Version des New Order – Klassikers „Bizarre
Love Triangle“ bekannt sind) ausgeborgt - unterstützt.
Mochte das Fehlen einer vorgegebenen Setliste zu Beginn noch verwundern,
so sollten Blumfeld gleich zu Be-ginn des Konzerts unter Beweis stellen,
daß so spontane Musiker wie Distelmeyer & Co. solche „Hilfsmittel“
nicht nötig haben. Hatte man – in Analogie zum aktuellen Album „Jenseits
von Jedem“ – den mitreißenden fröhlich-swingenden Song „Sonntag“
als Opener geplant, so riß Mastermind Jochen Distelmeyer gleich beim
ersten Akkord eine Saite seiner Akustikgitarre. Mit der flapsigen Bemerkung
„Na, das fängt ja gleich gut an!“, ging man flugs zum zweiten Song
„Mein
System kennt keine Grenzen“ über, ehe der eigentlich für
den Abschluß des Gigs (als zweite Zugabe?) geplante Coversong
„Let’s
Stay Together“ gespielt wurde; auch hier wiederum mit einer flapsigen
Anmerkung Distel-
meyers versehen. Erst dann wurde „Sonntag“ mit reparierter Akustikgitarre
nachgeholt. Als in der weiteren Folge auch ein zweites Mal eine Saite riß
(ach wie gut, daß es jenen zusätzlichen Gitarristen gab, der
in seiner Funktion als Roadie neue Saiten wieder flink einzuspannen wußte!),
war Distelmeyer Herr der Lage und entschloß sich statt dessen ihren
alten „Gassenhauer“ „Ich – wie es wirklich war“ zu performen - für
Distelmeyer und seine Mitmusiker eine weitere Chance, sowohl Spontaneität
bzw. Flexibilität, als auch Souveränität auf der Bühne
und vor allem musikalischen Humor zu zeigen. Als ob nichts geschehen wäre,
spielten Blumfeld nach Beendigung dieses „L’etat et moi “ - Songs nochmals
die letzten Takte des vorangegangenen Liedes („Eintragung ins Nichts“),
ließen sich sodann frenetisch von den Zuschauern bejubeln, ehe das
Konzert mit „Anders als glücklich“ ohne weitere Zwischenfälle
weitergehen sollte.
In den insgesamt zwei Stunden Konzertdauer wurde das Hauptaugenmerk
fast zur Gänze auf die letzten drei Platten gelegt: „Old Nobody“ war
mit den Songs „Tausend Tränen tief“, dem bereits genannten
„Mein
System kennt keine Grenzen“, „Status: Quo Vadis“ und überraschenderweise
„So
lebe ich“ vertreten; „Testament der Angst“ hingegen mit dem vom Publikum
heiß ersehnten und prompt erfüllten „Graue Wolken“ (unterstützt
durch Heinz Strunk am Saxophon!), „Weil es Liebe ist“, „Eintragung ins
Nichts“, „Die Diktatur der Angepaßten“ und meinem persönlichen
Favorit „Anders als glücklich“; die aktuelle Scheibe „Jenseits
von Jedem“ schließlich mit dem Opener „Sonntag“, „In der Wirklichkeit“,
„Wir sind frei“, dem musikalisch etwas aus dem Rahmen fallenden „Der
Sturm“ und „Die Welt ist schön“ vertreten. Die Fans erster
Stunde wurden ebenfalls nicht vergessen: aus dem Album „L’etat et moi“
wurden das bereits genannte „Ich – wie es wirklich war“ und das
obligate „Verstärker“ (als letztes Lied des regulären
Sets) – aus welchem nicht nur das für Blumfeld-Konzerte übliche
„Every
Time You Say Good-Bye“, sondern diesmal auch Prefab Sprouts
„Electric
Guitars“ „widerhallte“ - gegeben. Aber auch „Viel zu früh und
immer wieder; Liebeslieder“ (!) wurde gespielt - für das Publikum
(vor allem für jene Menschen, die das ganze Konzert hindurch Distelmeyer
diverseste Songtitel aus den ersten beiden Platten zuriefen!) eine besondere
Freude, wird doch das Debutalbum „Ich-Maschine“ spätestens seit der
Tournee zur letzten Platte „Testament der Angst“ (2001) fast zur Gänze
ignoriert. Hatten Blumfeld am Sonntag aufgrund einer nicht näher genannten
Unpäßlichkeit Distelmeyers den Gig in Graz absagen müssen,
so genoß der Sänger hier in Wien sichtlich den Jubel des Publikums.
Er ließ es sich auch nicht nehmen - in diesem Fall bei „Wir sind
frei“ und „In der Wirklichkeit“ -, jene Passagen, die in der
Studioversion mit Bläsern versehen sind, mit „Trompetenimitierenden“
Gesang zu unterlegen, stimmte gar kurz Madonnas
„Take A Bow“ (!)
an und war sich weiters nicht zu schade, kleine Diskussionen – angeregt
durch Zurufe aus dem Publikum – über Gott, die Welt und die Schöpfung
im Allgemeinen zu führen.
Alles in allem boten Blumfeld einen wunderschönen Abend, der textlich
ganz im Zeichen der Liebe stand. Für jeden im Publikum war etwas dabei:
überlange Lieder („So lebe ich“ und „Anders als glücklich“)
genauso wie Rockiges und Politisches („Die Diktatur der Angepaßten“).
Aber auch die obligaten Balladen in Form von „Graue Wolken“ und
dem berührenden „Tausend Tränen tief“, welches Jochen
Distelmeyer im Alleingang bewältigte, ohne sich dabei nicht ebenfalls
im Tanzen – gar angeregt durch Heinz Strunk? – zu versuchen, waren Teil
des Programms. Das Publikum spürte die intensive Kraft, die Blumfelds
Musik und Jochen Distelmeyers Worte ausstrahlen, einige ließen sich
sogar dazu hinreißen, im Saal zu tanzen. Einen würdigen Abschluß
fand das Konzert gegen 23 Uhr 15 schließlich – wieder in Analogie
zum neuen Longplayer „Jenseits von Jedem“ – im versöhnlichen „Die
Welt ist schön“, welches die erste und zugleich einzige Zugabe
dieses Abends bildete. Blumfeld hatten also eine Brücke geschlagen
von ihrer ersten Schaffensphase (1991 bis 1994), da sich Jochen Distelmeyer
– verpackt im rauhen- rockigen Musikgewand einer Indie-Rockband – noch
nicht sicher war, ob Liebe möglich ist, ja, eigentlich wollte, daß
Liebe wirklich wird, zur Jetztzeit (ab 1999), da die Hamburger Band in
Form von berührend-schönen, teilweise melancholischen Popsongs
schließlich zur Erkenntnis gelangt ist, daß Liebe nicht nur
Utopie, sondern für jeden einzelnen Menschen (inklusive Distelmeyer
selbst) erfahrbar ist. Dieser Liebe (die in all ihren Formen und Facetten
angesprochen wird) ist es also zu verdanken, daß Blumfeld sich nicht
nur einem neuen Musikstil zugewandt haben, sondern diese auch - aus der
Alternative-Indierock-Umgebung heraus - einer breiteren Hörerschaft
zugänglich gemacht wurde, ohne dabei an textlicher Qualität einzubüßen,
für welche Blumfeld stets standen.
Vielleicht einziger Wermustropfen an diesem ansonsten wunderschönen
Konzertabend mochte aber das Fehlen gerade zweier Songs sein: zum einen
die aktuelle Single „Neuer Morgen“, die trotz ihrer Schlichtheit
von Musik und Text eine tiefgehende Schönheit besitzt und vor allem
Mut zu machen weiß, wenn man sich niedergeschlagen fühlt; zum
anderen das durch FM4 hinlänglich bekannte „Jugend von Heute“.
Letztgenannten Song hätte ich persönlich auch gerade deswegen
gerne gehört, um vielleicht doch endlich zu erfahren, was sich denn
nun in dessen Text hinter jenem ominösen „Punkt 2“ verbirgt, der auf
dem Album durch einen „Pleep“ unkenntlich gemacht wurde. Darauf eine Antwort
zu finden, blieb mir aber genauso verwehrt, wie auf jene Frage, warum bloß
in aller Welt auf den aktuellen Blumfeld-T-Shirts drei Rehe (über
knallig-bunten Hintergrund hüpfend) zu sehen sind.....
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DIE DEFINITION VON DEKADENZ:
(Ein Bericht über das „Beggars
Banquet“ im Rahmen des „Hell Fire Dining Club“ in der Kunsthalle Wien am
8. Februar 2004):
Was haben der aus der FM4 - Sendung
„Im Sumpf“ bekannte Fritz Ostermayer, der Star- und Szenefigaro „Er-ich“
und die „Seitenblicke“ - Reporterin Lisbeth Bischof gemeinsam? Zum einen
waren sie alle Gäste der Abschlußveranstaltung „Beggars
Banquet“ des auch dieses Jahr wieder stattfindenden „Hell Fire Dining Club“,
wo – laut Presseaussendung – „im Schmelztiegel von Kunst, Speisen, Alkohol
und mystischer Technologie, gleich weit entfernt von Ostsee, Atlantik,
Schwarzem Meer und Mittelmeer, unter einer Hängedecke voll Krokodilen,
Stören und Haien [...] Paul Renner, Medlar Lucan und Durian Gray wieder
am Werk“ waren. Ihre andere Gemeinsamkeit wird sich dem Leser meines
Berichtes noch im Laufe desselbigen erschließen.
Bei Tage eine Ausstellung, bei Nacht dekadente Diners an einer langen Tafel, dem Namen nach „The Hell Fire Dining Club“: so präsentierte sich für knappe zwei Wochen (zwischen dem 22. Jänner und dem 8. Februar 2004) das „project space“ in der Kunsthalle Wien – befindlich am Wiener Karlsplatz, im Schnittpunkt also von Naschmarkt, Secession und dem kürzlich renovierten und umgestalteten Café Museum. Der Maler Paul Renner lud in dieser Zeit gemeinsam mit seinen „Mitstreitern“ Medlar Lucan und Durian Gray in einen wundersamen Ort - eine „Wunderkammer“, wenn man so will - der nicht nur eine bloße Ausstellung darstellte, sondern zeit-gleich auch Performances, Theater, Lesungen, Konzerte und Filme bot. Die Kunsthalle – eigentlich ein rechtek-kiges Ungetüm von Glascontainer, dessen Inhalt von weitem schon sichtbar ist – war zu diesem Zwecke umge-baut worden. Neben dem obligaten Kunsthalle-Café, welches auch in der Zeit, da der Hell Fire Dining Club in der Stadt „gastierte“ unangetastet blieb, wurden im Rest des „project space“ vier Kammern installiert. Zum einen das sogenannte „Teatro Anatomico“ - eine Cocktailbar rund um den Sektionstisch des Anatomischen Theaters von Bologna und geschmückt mit Renners Kadaverbildern, welche in Bernstein gegossenen menschlichen Lei-chen nicht unähnlich waren, aus den Katakomben von Palermo. Zum anderen die „Zambracca“ – eine Mischung aus Bibliothek und Speisesaal, und somit das Herz des Hell Fire Dining Club. Diese war vor allem mit einer wilden Mischung von Büchern - verteilt auf eine lange Reihe von Regalen und herausziehbaren Schubladen (die Auswahl reichte hierbei von Oscar Wilde, H.P. Lovecraft, spanischer, französischer und portugiesischer Literatur, über Bildbände diversester Kunstrichtungen bis hin zum bereits genannten Fritz Ostermayer) - , Hallstatt-Schädeln (bunt verziert und in schnörkeliger Schrift mit dem Namen des Verblichenen versehen) und sogenannten Wunderkammer-Objekten (versteckt in riesigen weißen Kästen, jeweils eines in jeder der riesigen herausziehbaren Laden) bestückt, an der Decke hingen Skelettdarstellungen diversester Meeresfische aus dem Naturhistorischen Museum, das Zentrum hingegen bildete die Tafel, wo in der Folge jeden Abend unter einem anderen Motto dekadentem Essen gefrönt werden sollte. Eine weitere Kammer war die sogenannte „Pharmazie“ - eine Schaustellung rund um eine chinesische Apotheke aus Suzhou aus dem 19.Jahrhundert, welche des Abends zur Küche umfunktioniert wurde. Ein letzter Raum (dem Namen nach das Visionarium) schließlich – viel kleiner in seinen Ausmaßen als die Zambracca – diente zur allabendlichen Unterhaltung der zahlenden Dinergäste, wo so unterschiedliche Dinge wie Filme (z.B. „Fleurs du mal“ von H.C. Stenzel), Vorträge (unter anderem von Gerald Matt), literarische Lesungen (von Ludvic Kundera genauso wie von Mike Jay) und musikalische und aktionistische Performances dargeboten wurden.
So weit, so gut also. Hatte sich das eben beschriebene Konzept bereits
im letzten Jahr bewährt, wurde es auch heuer wieder ein großer
Erfolg, zumindest in finanzieller Hinsicht. In den meisten Fällen
bereits im Vorfeld ausverkauft bzw. -gebucht (und das bei Preisen von 100
Euro für das Diner bzw. „bloßen“ 70 für das etwas kleinere
Buffett!), standen die Abende unter so unterschiedlichen Mottos wie z.B.
„Entrance to Hades“, „Schizo Gourmet“ oder „Night of the Charlatans“. Am
8. Februar war es dann so weit: die Abschlußveranstaltung unter der
Überschrift „Beggars Banquet“ wurde zelebriert. Zahlende Gäste
sollten sich gemeinsam mit Wiener Obdachlosen und sechs weiteren Personen,
welche im Rahmen der FM4-Sendung „Im Sumpf“ Karten für die Veranstaltung
gewonnen hatten, an einen Tisch setzen, um einen dekadenten Abend – in
der bereits beschriebenen dekadenten Atmosphäre, mit dekadentem Essen
und dargebotener dekadenter Kunst – zu erleben, den sie sol-chermaßen
noch lange in Erinnerung behalten sollten. Alleine, die Erwartungen wurden
den in zahlreichen Me-dien vergebenen Vorschußlorbeeren nicht gerecht.
Was war schiefgelaufen?? Ich möchte ja nicht unbedingt behaupten,
daß das Essen schlecht gewesen wäre. In Anlehnung an das jeweilige
Motto stand an jedem Abend eine andere interessante Menüfolge auf
dem Programm. Wurden beim sogenannten „Dandy’s Table“ ein paar Tage zuvor
solch ungewöhnliche Leckereien wie Lammhirn in Totentrompeten-Sauce,
Schwanenspeck, Pestwildschwein, gebratener Thunfisch oder Blutwurst mit
süßem Apfelmuß kredenzt (siehe auch der dazugehörige
Bildbericht auf der FM4-Website!), so standen die lukullischen Genüsse
an jenem Abschlußabend da in nichts nach: beginnend mit einer Fischsuppe
im Glas, konnte man sich – abgesehen von einem Büfett bestehend aus
diversen Salaten, Wurst, Käse, sowie dem sogenannten „hundertjährigen
Brot“ – in weiterer Folge an Austern, scharfem Gemüseeintopf (angeblich
jenes Originalrezept, nach dem die Köche am russischen Hofe dereinst
Katharina die Große verwöhnt hatten), Blutwurst mit süßem
Apfelmuß, Wild, gefülltem Ferkel nebst Bratkartoffeln und einer
delikaten Käseplatte in Kombination mit erlesenem Kaviar laben; der
zuvor angekündigte Hanfstrudel aber fehlte leider. Wie man sieht,
hatte ein eingefleischter Vegetarier an jenem Abend einen „schweren Stand“
angesichts dieser Gerichte - alle anderen Gäste erfreuten sich sowohl
an den ungewöhnlichen kulinarischen Kreationen, als auch an der Tatsache,
nicht umsonst 100 Euro für das Diner gelöhnt zu haben. Wie ge-sagt,
das Galadiner war es die Sache schon wert. Doch ansonsten schien sich der
Abend weniger in Dekadenz, denn in Desorganisation zu üben. Der Beginn
war für 19 Uhr angesetzt. Hatte ich angesichts der ungewöhnlichen
Ausstattung zumindest eine kleine Führung durch den Veranstalter zu
bekommen erhofft, so ging es den meisten Gästen in erster Linie eher
darum, einen der raren Plätze an der Tafel zu ergattern, denn sich
näher mit dem Inventar der in der Presseaussendung als „wahre Wunderkammer“
beschriebene Zambracca zu beschäftigen. Während Veranstalter
Paul Renner untertags in jeweils zwei Führungen Interessierten die
literarischen und künstlerischen Exponate näherzubringen versuchte,
war des abends das bevorstehende Diner von weit größerer Bedeutung.
Während ich also noch dabei war, die wundersame Mischung an Literatur,
die sich in den Regalen wiederfand, näher zu betrachten, mich die
Fischskelette an der Decke immer wieder in Erstaunen versetzten und ich
herausfinden wollte, welche getrockneten Pflanzen und Kräuter denn
auf die lange Tafel herunterhingen, folgten die anderen Gäste brav
der gegen viertel Acht Uhr getätigten Aufforderung Paul Renners, sich
so dekadent wie möglich zu benehmen, Unmengen an Alkohol zu konsumieren
und alles in allem die Kunsthalle am Ende eines vierzehntägigen Dekadenz-Marathons
in ihren Grundfesten zu erschüttern. Somit wurden die eigentlichen
Prioritäten dieses Abends sichtbar: essen und unmäßig trinken.
Mir selbst blieb in der Folge bloß ein Sessel an der Glaswand, auf
welchem ich nicht nur umständlich versuchte, das Essen – lediglich
ausgestattet mit Plastikbesteck! - zu genießen, sondern auch unfreiwillig
Zaungast dessen wurde, was sich die anwesende Tischgesellschaft unter Dekadenz
vorstellte. Es war ein trauriger Anblick: die Obdachlosen, welche adrett
gekleidet nur schwerlich unter den anderen Gästen auszumachen waren,
deren Anwesenheit ja dem ganzen Abend den Titel gaben, und mit denen man
gemeinsam hätte speisen sollen, bezogen ihren separaten Tisch im Teatro
Anatomico, während die restliche Gesellschaft – welche zum größten
Teil einer „Seitenblicke“-Sendung entsprungen zu sein schienen - , ungestört
und unter sich dem Essen und dem belanglosen Small Talk hingeben konnte.
Da wunderte es auch kaum, daß plötzlich Szenefigaro „Er-ich“
auftauchte (um interessierten Damen, während diese seelenruhig weiteraßen,
eine modische Frisur zu verpassen!), gefolgt von Seitenblicke-Reporterin
Lisbeth Bi-schof und deren Kameramann (um potentielle Interviewopfer -
wie Gerald Matt - auszumachen, denen sie eine belanglose Wortspende abringen
konnte) und flankiert von einem blonden, sportlichen „Szenehopper“ (der
unbedingt sämtliche anwesende Halb- und Viertelprominente per Autogramm
auf seinem „Hell Fire Dining Club“ – T-Shirt verewigt haben wollte).
Die vorherrschende Desorganisation dieses Abends spiegelte sich aber
auch im Essen wieder. Hatte Paul Renner im Vorfeld versprochen, jeder der
sechs Menüpunkte werde im Halbstunden-Takt ausgegeben, wurden die
zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Gerichten immer kürzer,
währenddessen die Schlange vor dem Büfett und jenem bayerischen
Koch (mit gefärbtem Bart, Irokesenfrisur und dem T-Shirt einer Punkband
mochte er so gar nicht ins Bild der restlichen Gäste passen; selbst
die für die kleine Tafel viel zu zahlreich eingeladenen Obdachlosen
hatten sich ja so gut es ging in Schale geworfen), welcher für die
Essenausgabe zuständig war (genauso wie die Geschwindigkeit, mit der
die Gäste ihre lukullischen Genüsse so gar nicht genießen
wollten), immer größer wurde; dabei handelte es sich keineswegs
um jene berüchtigten Miniportionen, welche ansonsten in überteuerten
Gourmettempeln angeboten wurden. Schließlich war das Essen schon
gegen halb 11 Uhr abends beendet, und den Gästen schien bereits etwas
langweilig zu werden; selbst die Kameraleute und die Reporter von FM4 waren
etwas ratlos darüber, was sie Interessantes noch einfangen könnten.
Wie gut, daß just zu jenem Zeit-punkt im bereits erwähnten kleinen
Raum der Unterhaltungsteil begann. Doch auch hier Desorganisation pur:
ich hätte mir gerne ein Programm darüber gewünscht, wer
wann und womit in der Folge nun auftreten sollte. Alleine, der Wunsch wurde
mir verwehrt. Hatte man eigentlich Oswald Wiener (1935 geboren, Matura,
mehrere Studien ohne Abschluß, Jazztrompeter und jüngstes Mitglied
der Wiener Gruppe um Brus und Nitsch, heutzutage in Kanada lebend und sich
vor allem mit Informatik beschäftigend – eine interesante Vita also)
als Vortragenden eingeladen, wurde dieser kurzerhand durch Rosa Artmann
(ihres Zeichens Witwe von H.C. Artmann) ersetzt, welche – zu Beginn noch
etwas zaghaft und im Small Talk-Lärm der Dinergäste beinahe untergehend
– ein paar Texte ihres Mannes vorlas. In der Folge gab es noch weitere
Lesungen diverser Texte, welche sich vor allem mit Essen und der damit
verknüpften Dekadenz beschäftigten. Der musikalische Teil hingegen
war eher enttäuschend: ein verrückter DJ malträtierte seine
Elvis Presley-Platten, ein desorientierter Akademiker quälte seine
E-Gitarre und ein Diskjockey beschallte die Zambracca bis zum Ende der
Veranstaltung mit schlechter Technomusik. Alleine das (Erste Wiener) Heimorgel-
orchester – bestehend aus vier Männer, die mit ihren Keyboards,
Sequenzern und Samplern wundersam-getragene Instrumentalmusik zu erschaffen
vermochten – überzeugten mich. Auf den angekündigten Rolling
Stones – Film und dem Besuch von Bürgermeister Michael Häupl
wartete man hingegen vergeblich. Während sich der Speisesaal mehr
und mehr zu leeren begann – die einen zog es bereits gegen 23 Uhr nach
Hause, die anderen waren an den Performances im kleinen Raum interessiert,
welche in der Zambracca nur durch einen zu laut eingestellten Lautsprecher
mitverfolgt werden konnten - , merkte man unweigerlich, daß aus der
Veranstaltung, die sich ihrer großartigen Dekadenz gerühmt hatte,
schlichtweg die Luft heraus war. Was blieb den verbliebenen Gäste
also übrig, als den einleitenden Worten Paul Renners Folge zu leisten
und sich sinnlos zu betrinken. Während die Mitarbeiter, Köche
und anwesenden FM4-Leute sich in die zur Küche um-funktionierten Pharmazie
zurückzogen, um dort ihre eigene Privatparty zu beginnen, wurde eine
Flasche nach der anderen geköpft, weil es eben nichts weiter zu erleben
oder tun gab. Daß die Getränke in den 100 Euro Ein-trittsgeld
nicht inkludiert waren, störte die anwesende „bessere Gesellschaft“
nicht, sich dem Alkohol hinzugeben (in diesem Zusammenhang kann ich den
Meßwein aus dem Stift Zwettl nur wärmstens weiterempfehlen!).
Lisbeth Bischof hatte es aufgegeben, Interviewopfer zu suchen, und genehmigte
sich Rotwein und Bier, „Er-ich“ und die anderen aus den Seitenblicken bekannten
Damen und Herren taten es ihr gleich. Als das Personal gegen Viertel 3
Uhr in der Früh die noch anwesenden Gäste bat, endlich auszutrinken
und zu gehen, ging das Beggars Banquet schließlich seinem unrühmlichen
Ende entgegen.
Was der krönende Abschluß und Höhepunkt einer zwei Wochen
andauernden interessanten Kunstveranstaltung hätte werden können,
entpuppte sich alles in allem als ein völlig normales Abendessen,
das nur deswegen etwas Besonderes war, da die gebotenen Gerichte im Großen
und Ganzen nicht alltäglich und daher von einem gewis-sen kulinarischen
Reiz waren. Doch was war nun an diesem Abend eigentlich so dermaßen
dekadent gewesen?? Wo war die Dekadenz auszumachen gewesen, von der die
Veranstalter genauso, wie die Medien in ihren Vor- und auch Nachberichterstattungen
(siehe auch der Bericht bei Barbara Retts „Treffpunkt Kultur“ am Tag danach!)
so geschwärmt hatten?! War das Essen dekadent gewesen? Die Ausstattung
der drei Kammern? Gar die Texte und die Musik? Am ehesten wohl die Gäste
selbst, die augenscheinlich nur zu diesem Essen gekommen waren, um sich
ein paar Tage später in den Seitenblicken wiederzufinden. Vielleicht
hätte ich mehr davon gehabt, der zeitgleichen Live - Berichterstattung
im Rahmen der FM4-Sendung „Im Sumpf“ zu lauschen, oder es gar jenem Obdachlosen
gleichzutun, der spätestens mit dem letzten Menügang einfach
am Tisch eingeschlafen war?! Wer weiß das schon. Immerhin gab es
leckeres Essen zu genießen. Der Rest hingegen gestaltete sich zu
einem äußerst surrealen Erlebnis, welches mich nur einmal mehr
darin bestärkte, niemals ein Teil der sogenann-ten besseren Gesellschaft
sein zu wollen.......
"THE NEXT SONG'S DEDICATED TO.....":
(Ein Kurzbericht über das
HIM-Konzert in der "Bank Austria"- Halle des Wiener Gasometer am 19. März
2004):
Im Zuge der "Love Metal Odyssey Tour 2004" machten HIM, die finnische Band rund um Frontmann Ville Valo wieder einmal in Wien Station. Im Gepäck dabei hatten sie nicht nur eine neue Single (das Neil Diamond - Cover "Solitary Man") und ein Best Of- Album, sondern auch ihre aktuelle Studioscheibe "Love Metal".
Seit dem letzten Mal (Oktober 2001), da HIM in Wien gastierten, waren bereits über zwei Jahre ins Land gezogen. Umso mehr freute es mich, zumal Ville Valo in einigen Interviews auch vermeldet hatte, nach Ablauf ihres Vertrages mit ihrer Plattenfirma - mit dem Best Of - Album "And Love Said No" ist ihr "Plansoll" erreicht - nun einige Zeit zu pausieren, die finnischen Jungs einmal wiederzusehen. Nachdem man das lange Warten und den Einlaß nebst Security-Personal, das wie immer überfordert zu sein schien, überstanden hatte, wurden die Pforten der "Bank Austria" - Halle endlich gegen 19 Uhr geöffnet. Hierbei war man gut beraten, den offiziellen Eingang im Gasometer (über die Betonstufen) zu nehmen: während die ungeduldige Menge dort bereits eingelassen wurde, hatte jene weitaus größere Masse beim zweiten Eingang das Nachsehen und somit eine längere Wartezeit. Der Beginn des Konzertes war für 20 Uhr anberaumt worden, es blieb also noch genügend Zeit, sich ein Bier zu gönnen und das anwesende Publikum näher zu betrachten. Wie schon beim letzten Auftritt HIMs waren einige Fans aus dem benachbarten Ausland (Italien, Tschechien) angereist, der Rest waren einerseits HIM-Fans (zu erkennen am schwarzen Gewand und den aufgemalten HIM-Logos) und andererseits - wie ich es bezeichnen würde - "musikalische Mitläufer", die nur gekommen waren, weil einige Songs von HIM gerade in der Hitparade zu finden sind. Das Publikum selbst war, wie bei HIM - Konzerten bisher schon üblich, recht jung; die wenigen Erwachsenen schafften es nur schwerlich, den Altersschnitt anzuheben. Eigenartigerweise blieb die Halle leerer, als erwartet, die Sitzplätze am Balkon blieben - wie bei fast jedem Rockkonzert - unberührt. Die letzte Chance für längere Zeit HIM live erleben zu dürfen, schien im Vorfeld nicht wirklich ein zugkräftiges Argument gewesen zu sein, mehr (junges) Publikum anzulocken.
ZERAPHINE:
Dann war es endlich soweit. Die Vorgruppe Zeraphine (nicht zu verwechseln
mit "Serafin", die zur Zeit in den englischen Charts zu finden sind) betrat
gegen 20 Uhr 05 die Bühne. Diese deutsche Gothic-Rockband erinnerte
ein wenig an eine etwas rockigere Variante ihrer Landsmänner von "Alice2"
(welche gemeinsam mit den superben The Mission beim letzten Konzert HIMs
in Wien den "Support Act" bildeten). Für eine Vorgruppe - noch
dazu Newcomern, die gerade einmal drei Singles veröffentlicht haben!
- durften sie recht lange spielen (fast 40 Minuten); dennoch war die Band
nur mittelprächtig. Das lag zum größten Teil an ihrem (noch?)
recht indifferenten Songmaterial. Sie begannen sehr rockig und vor allem
mitreißend, zur Mitte des Sets hin aber wurden sie eher schwach und
platt. Dazu kam noch, daß sie sich - im wahrsten Sinne des Wortes
- an U2s Klassiker "New Year's Day" vergingen. Größtes Manko
der Band waren aber ihre Lyrics, die sie zum Teil auf Deutsch, zum Teil
auf Englisch darboten. Meiner Meinung nach sollte der Sänger lieber
bei letzterem bleiben, klingen die Lyrics in seiner Muttersprache doch
recht platt und klischeehaft (was sich aber in der Fremdsprache recht gut
kaschieren läßt). Herauszuheben ist der letzte Song ihres Sets
"Wenn Du gehst", der zwar wieder recht viele Banalitäten textlicher
Art bot (er erinnerte gar an "Every Time You Go Away" von John Paul Young!),
aber dafür ein interessantes Arrangement (welches leider, so wie sämtliche
anderen Keyboard-Parts auch, vom Band kamen) bereithielt, das an ihre Genrekollegen
"Corvus Corax" erinnerte.
HIM:
Nach einer viel zu lang geratenen Umbau- und Soundcheck-Pause - während
derer der Mann am Mischpult sich beim Beschallen der "Bank Austria" - Halle
mit Rock- und Popklassikern austoben durfte -, erhob sich der mit dem bandinternen
"Heartagram" - Logo versehene durchsichtige Vorhang und das Konzert jener
Band, derentwegen das Publikum gekommen war, konnte endlich losgehen. Ich
weiß nicht, ob es daran lag, daß ich HIM in der Vergangenheit
bereits dreimal gesehen hatte, aber das Konzert selbst hinterließ
eher einen zwiespältigen Eindruck. Nicht, daß HIM ein schlechtes
Konzert abgeliefert hätten, aber zwei Knackpunkte gab es doch. Zum
einen war das Set mit knapp 80 Minuten (21 Uhr 25 bis 22 Uhr 50) recht
kurz gehalten - anscheinend spielen HIM wirklich nur in ihrer finnischen
Heimat zweistündige Gigs! - , obgleich HIM mittlerweile über
ausreichend Songmaterial verfügen würden; zum anderen hatte Sänger
Ville Valo fast das gesamte Konzert hindurch mit der berühmt-berüchtigten
(sprich: schlechten) Akustik in der "Gasometer"-Halle zu kämpfen.
Mit letzterem Minuspunkt mußten sich schon einige andere Bands bei
ihren dortigen Auftritten herumschlagen (auch bei ihrem letzten Gig im
Oktober 2001 ging es HIM teilweise genauso). Somit waren leiser oder tiefer
gesungene Passagen nur sehr schwer zu hören, manche Songs wiederum
wurden vom Mann am Mischpult mit viel zu viel Hall unterlegt.
Auch in anderen Belangen fiel das Konzert von Ville & Co. recht
eigenartig bzw. ungewohnt aus: weder gab es eine Intro-Musik (HIM betraten
die Bühne ohne größeres "Tamtam"), noch gab es eine für
HIM-Verhältnisse ausgewogene Songauswahl (es fand sich nur eine einzige
"richtige" Ballade im Set, ansonsten fiel das Konzert sehr, sehr rockig
und somit mitreißend aus). Die Songs selbst kamen in teilweise neuen
Arrangements, vor allem mit neuen (sprich anderen als in der Studioversion)
Intros und Soloteilen, wo sich Gitarrist Linde und Keyboarder Burton austoben
durften. Solcherart vermied man, daß die Live - Versionen allzu sehr
jenen aus dem Studio ähnelten (man darf sich also schon auf das für
den Sommer angekündigte Live-Album freuen!). Beispiele hierfür
sind z.B. der längere Mittelteil bei "Wicked Game" (welcher sich mittlerweile
seit ihrer 2000er Tour bewährt hat, und währenddessen sich Valo
gemütlich hinsetzten und rauchen darf), durchwegs neue Gitarrensoli,
ein improvisierter Keyboardteil bei "Poison Girl" oder ein völlig
neues Intro bei "Pretending". Bereits bei ihrem letzten Gig in Wien hatten
HIM solcherart ihren Klassikern neues Leben eingehaucht; waren damals diese
"musikalischen Neuerungen" noch ungewohnt bzw. nicht bei jedem Song stimmig,
so klappte es diesmal eindeutig besser.
Am meisten aber mochte man sich über die äußerst konfusen
Ansagen Ville Valos wundern - seine Unsicherheit überspielte er stets
mit ungelenkem Hantieren am Mikrophonständer - , in denen sein ansonsten
berühmter finnische Humor nur sehr kurz durchblitzen durfte. Einmal
widmete er einen Song jenem Mädchen, das im Publikum das Konzert mit
Videokamera festhielt, um sie gleichzeitig darum zu bitten, mit dem Filmmaterial
im Internet kein schnelles Geld zu machen. Ein anderes Mal bedankte er
sich mit "Your Sweet 666" (von ihrem Debutalbum "Greatest Lovesongs Vol.666")
bei all' den treuen Fans, die HIM bereits länger als jenem bedeutungsschweren
Jahr 2000 kennen, da die Band quasi über Nacht mit ihrer Ballade "Join
Me (In Death)" schlagartig bekannt wurden. Sie wollen bloß Musik
machen betonte Ville, sie seien Musiker mit Herz und Seele; das plötzliche
Medieninteresse durch "Join Me" tat er somit augenzwinkernd mit "Shit happens"
ab. Überhaupt schien es Ville viel mehr ein Anliegen zu sein, jedem
Song eine Widmung voranzustellen ("This Fortress of Tears" wurde gar Ozzy
Osbourne zugeeignet), als seinen weiblichen Fans eine Freude zu machen.
Hatte Ville bei früheren Auftritten schon mal Haut gezeigt, so blieb
er diesmal nicht nur in Kleiderfragen sehr zugeknöpft. Nebenbei gesagt
läßt sich Ville nicht nur einen Bart wachsen, sondern scheint
auch wieder mehr zu rauchen, denn früher (ein Umstand, der weder bei
seinem zukünftigen Kinderwunsch, noch einer Besserung seines Asthmas
unbedingt hilfreich sein wird).
Egal! Was zählte, war allein die Musik Valos, die trotz aller
widriger Umstände (schlechte Akustik, ein überforderter Soundtechniker,
ein unsicherer Ville Valo), mitreißend dargeboten wurde, dem Publikum
eine gute Rockshow bescherte und einmal mehr unterstrich, was HIM wirklich
ausmacht: nämlich Ville Valos untrügliches Gespür für
Ohrwurm-Melodien, die sowohl das Pop- als auch das Rocklager zu erfreuen
weiß. Die Setliste des Gigs selbst orientierte sich zum größten
Teil an der Trackliste ihrer aktuellen Best Of-Platte. Beginnend mit "Buried
Alive By Love", der Chris Isaak - Nummer "Wicked Game" und dem superben
Rockkracher "Beyond Redemption" sollten im Laufe des Abends noch weitere
13 Songs folgen. Ihr Debutalbum war noch mit "Your Sweet 666" und "It's
All Tears (Drown In This Love)" vertreten, ihr "Megaseller"-Album "Razorblade
Romance" mit den Hits "Poison Girl", "Join Me" und "Right Here In
My Arms", das dritte Album ("Deep Shadows And Brilliant Highlights") mit
"In Joy And Sorrow", "Pretending" und "Heartache Every Moment". Dazu kam
noch die bereits erwähnte aktuelle Single "Solitary Man", das aktuelle
Studioalbum "Love Metal" schließlich war mit "The Sacrament", dem
für HIM-Verhältnise etwas untypische (an manchen Stellen an Bon
Jovi erinnernde - was ein wenig verwundern mag, will Ville laut eines kürzlichen
Interviews ja gerade verhindern, in deren Fußstapfen zu treten!)
"This Fortress Of Tears" und dem letzten Song in der regulären Set-Liste
"The Funeral Of Hearts" vertreten. Nach nur einer einzigen Zugabe - nämlich
dem fetzigen "Soul on Fire" - verabschiedeten sich Sänger Ville Valo,
Gitarrist Linde, der schweißgebadete Bassist Migé (der sich
mehr als nötig während des Gigs verausgabte), Keyboarder Burton
und Drummer Gas von der begeisterten Menge, die noch geraume Zeit später
nach weiteren Songs lechzte, ohne diese freilich zu bekommen.
Zurück blieb eine von Bierbechern und anderem Unrat übersäte
"Bank Austria" - Halle (vielleicht sollten die Veranstalter wieder ein
Becherpfand einführen?), die sich schließlich ziemlich rasch
leerte. Auf dem Weg nach draußen, am hart umkämpften Merchandising-Stand
vorbei, schien sich ein letztes Mal unvermutet Villes finnischer Humor
bemerkbar zu machen - wie sollte man sich denn sonst knallrote HIM-Unterwäsche
(ein Set bestehend Leibchen und Stringtanga; beides mit dem "Heartagram"
-Logo versehen) plausibel erklären?! -, ehe es wieder hinausging in
die unwirtliche Kälte des dritten Wiener Gemeindebezirks......
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AMANDA PALMER (Szene Wien; 20. Oktober 2008):
Amanda Palmer ist tot, sie wurde umgebracht!! Zeitgleich befindet sie sich aber gerade auf ausgedehnter Europatour. Wie das zusammengeht?? Um das herauszufinden, hatte sich die „Szene Wien“ bis auf den allerletzten Platz gefüllt. Ehe aber das Rätsel gelöst werden konnte, galt es die beiden Support Acts zu bestaunen und genießen.
Den Anfang machte Jason Webbley, ein Hüne mit Hut, der sowohl am Akkordeon, als auch an seiner Akustikgitarre seine mitreißenden Shanties, Trink- und Bänkellieder zum besten gab. Ein wildgewordener Tom Waits, der während seines rund halbstündigen Sets stets seinen Hut verlor, aber auch das Publikum dazu animieren konnte, sowohl die fehlenden Orchesterparts zu intonieren, als auch kräftig mitzuschunkeln. Nicht nur den beiden illuminierten Herren neben mir gefiel das.
Die nächsten dreißig Minuten hingegen gehörten der ruhigeren Musik. Zoe Keating, bewaffnet mit Laptop, „Tape Delay“ - Pedal und einem waschechten Cello (das mit Bogen und Händen bearbeitet wurde), bot klassisch angehauchte Instrumentals: neben Eigenkompositionen (z.B. eine zu Ehren des Ablebens von Amanda Palmer), auch eine interessante Muse – Cover Version, nämlich „Time Is Running Out“. Nicht nur wegen ihres Equipments klang sie somit wie eine wundersame Kreuzung zwischen „Apocalyptica“ und „Final Fantasy“. Leider hätte man dieser jungen, begabten Frau einen etwas intimeren Rahmen für ihre Kunst gewünscht, gingen doch vor allem die ruhigeren Passagen im Gesprächslärm der Zuschauer unter.
Hatte Steve vom „Danger Ensemble“ (dazu später noch mehr) während der beiden Support Acts als (etwas tuntiger?) Conférencier fungiert, der das Publikum eingehend darauf vorbereitete, daß Amanda Palmer leider verstorben sei, so war es kurz nach 21 Uhr 30 endlich soweit. Amanda war da!! Aber nicht irgendwie:
Unterstützt vom „Danger Ensemble“ (eine vierköpfige Straßenkunst- & Performancetruppe aus Australien), das als Trauerzug auf die Bühne trat, erschien Amanda, eingehüllt in einen Schleier. Flugs wurde sie hinter das Piano gehoben und gleich ging es mit „Astronaut“, dem fetzigen Opener ihres aktuellen Solodebuts „Who Killed Amanda Palmer“, los. Somit war den Zuschauern eines klar: so leicht läßt sich eine Frau Palmer nicht umbringen! In den nächsten 150 (!) Minuten sollte sie dies auch eindrucksvoll beweisen:
Das Konzert wurde zum Abbild der vielen Seiten von Amanda Palmer. Da war zum einen die melancholische Ader von Frau Palmer, die entweder alleine an ihrem Klavier (und trotz gebrochenem Fuß), oder begleitet vom australischen Geiger Lyndon Chester und der Cellistin Zoe Keating (die sowohl am Solodebut mitgearbeitet hatte, als auch die komplexen Orchesterpassagen in gut reduzierte Livearrangements umgesetzt hatte), breite, stets berührende, klassisch angehauchte Balladen zum besten gab („Ampersand“, „Blake Says“, „The Point Of It All“). Zum anderen gab es ihre Dresden Dolls – Vergangenheit (?), die sich in schweißtreibenden Performances von „Bad Habit“, „Mrs. O.“ und einer mit einem eindrucksvollen Klassik-Intro versehenen „Half Jack“ niederschlug. Aber auch die politische Seite kam nicht zu kurz: zum ersten Mal an diesem Abend beginnt Amanda ausführlicher mit dem Publikum zu sprechen. Neben Barrack Obama und Jörg Haider geht es ihr vor allem um den Irrsinn und das Leid, den Amokläufe an Schulen verursachen. Nachdem Lyndon Chester eine Liste an Namen von Schülern verlesen hat, die bei einem solchen Gewaltakt verstorben sind, wird der Videoclip zu „Strength Through Music“ auf der Bühne äußerst packend visualisiert, ehe das ganze in das fröhlich überbordende „Guitar Hero“ mündet, das zwar fast vollständig als Playback daherkommt, dafür dem begeisterten Publikum Amanda Palmer und ihre Mitstreiter in Rockstar-Pose mit Luftgitarre bietet.
Überhaupt ist das „Danger Ensemble“ eine interessante Bereicherung von Amanda Palmers Solokonzert. Manchmal fungieren sie als stumme Beobachter, als lebende Statuen, die an einem auf der Bühne befindlichen Bistro - Tisch Platz gefunden haben. Dann wiederum visualisieren sie bestimmte Textpassagen des Amanda Oeuvres auf ihre ganz unnachahmlich Seite.
Das Konzert von Mrs. Palmer nähert sich bereits der Halbzeit und das Publikum will noch mehr. Zeit für Amandas fröhliche Seite: Nach dem witzigen „I Google You“ (der Text stammt dabei von Neil Gaiman, mit dem Amanda zur Zeit am Buch zum Soloalbum arbeitet) und einem eindrucksvollen, in fast lupenreinen Deutsch vorgetragenen Dreigroschenoper“ - Stück „Die Seeräuber Jenny“, gibt es eine kurze Verschnaufpause: Zeit, einige der Fragen zu beantworten, die das Publikum vor Beginn in einer mit „Ask Amanda“ beschrifteten Holzbox einwerfen konnte. Dabei werden mehr („Why Are You Vegetarian?“) oder weniger („Can I Get A Baby From You?“) wichtige Fragen augenzwinkernd erörtert. Doch gleich geht es witzig weiter, als sich Amanda und das „Danger Ensemble“ zu den Klängen von „Coin-Operated Boy“ auf ihrer Weise über die Tatsache lustig machen, daß besagter Song in Österreich als Musik für eine Marmeladen - Werbung fungiert: Da beschmieren sich die Protagonisten gegenseitig mit „Erdbeermarmelade“ und jagen sich gar neckisch kreuz und quer durch den Saal.
Mit dem nicht nur auf dem Album äußerst berührenden „Have To Drive“ und dem bereits erwähnten „Half Jack“ geht der offizielle Teil des Gigs zu Ende. Doch halt! Da gibt es ja noch eine weitere Seite von Amanda Palmer: jene, wo hemmungslos der Blödelei und dem reinen Spaß gefrönt wird. Zu den eingespielten Klängen von Rihannas „Umbrella“ wird dieser Song kongenial als „Playback - Performance“ mit Regenschirm – Choreographie und Bühnenregen (der Amandas Keyboard für die Zugaben kurzfristig sogar außer Gefecht setzt!) umgesetzt – manche kennen vielleicht das dazupassende Video auf „youtube“.
Amanda und Co. haben schon zwei Stunden gespielt, doch das aufgebrachte Publikum will immer noch mehr. Amanda zeigt eine allerletzte Seite ihres Schaffens: das Obskure und Verrückte. Neben „Leeds United“ und einem atemberaubenden „Girl Anachronism“, wird nicht nur acapella ein Geburtstagsständchen für die Tourmanagerin, sondern auch zahlreiche Cover Versionen dargeboten: „Creep“ von Radiohead (Amanda spielt dabei in der Unterwäsche auf der Ukulele; tatkräftig vom Publikum unterstützt!), „Ein Stuhl in der Hölle“ von den Einstürzenden Neubauten (!) - wiederum im deutschen Original intoniert -, und „Living On A Prayer“, das gemeinsam mit Jason Webbley gespielt wird, während das Danger Ensemble, das unbezahlt (!) auf Tournee mitgekommen ist, mit dem „Hut“ (sprich: ihre Schuhe und Stiefel) zur Kollekte im Publikum herumgeht. Den krönenden Abschluß bietet Amanda am Klavier, die ein starkes Cover von Leonard Cohens „Hallelujah“ abliefert, während sich auf offener Bühne eine Freiwillige – analog zu einer Textzeile – von Steve die Haare schneiden läßt!
Fazit: Ein wundervolles, mitreißendes, bewegendes,
lustiges, alle Sinne ansprechendes Konzert, das dem Zuseher noch lange
Erinnerung bleiben wird. Ein Gig, in dem im Laufe von knapp 150 Minuten
dermaßen viel geboten wird, sodaß an dieser Stelle gar nicht
erst alles vollständig wiedergegeben kann. Ein Konzert, bei dem man
einfach dabei gewesen sein muß!